Schnellverfahren und Hauptverhandlungshaft

Ein kritischer Blick hinter die Kulissen
dieser beiden juristischen Werkzeuge

Der folgende Text ist auch in gekürzter Form in der neuen Broschüre der Roten Hilfe zur Repression beim G8 2007 in Heiligendamm zu finden. Hier der gesamte Text zum Download (pdf).

1. Schnellverfahren vor Rostocker Gerichten

Während und nach der Großdemonstration am 2. Juni in Rostock wurden mehrere DemonstrantInnen von der Polizei festgenommen. Gegen 10 von ihnen beantragte die Staatsanwaltschaft eine „Anordnung der Haft zur Sicherung eines unverzüglich durchzuführenden beschleunigten Verfahrens“ (sog. Hauptverhandlungshaft). Den Angeklagten (AktivistInnen aus Deutschland, aber auch aus dem Ausland) war schwerer Landfriedensbruch in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung oder versuchter gefährlicher Körperverletzung vorgeworfen worden. Von diesen 10 Personen wurden insgesamt 8 mittels sog. „Schnellverfahren“ abgeurteilt. Die Betroffenen erhielten Haftstrafen zwischen 6 und 10 Monaten ohne Bewährung.
Damit erzeugten die Polizeiführung Kavala sowie die leitende Staatsanwaltschaft Rostock in den Folgetagen die Titelschlagzeilen, die sie unbedingt haben wollten: „Randalierer“ und „Chaoten“ seien, so der Tenor, quasi „an Ort und Stelle“ zu Haftstrafen verurteilt worden; diese Verfahrensausgänge sollten sich alle DemonstrantInnen als warnendes Beispiel zu Gemüte führen, verbunden mit dem Hinweis, daß Polizei und Justiz auch bei den angekündigten Blockadeaktionen knallhart durchgreifen würden.
Trotz eines kompletten (!) juristischen Scheiterns ihrer vorgebrachten Gründe für das Verbot der Sternmarsch-Demo vor dem Bundesverfassungsgericht konnte die Kavala über die von ihr erzeugte mediale Interpretation der Ereignisse vom 2. Juni (Stichworte: „Ausschreitungen“, „Randale“, „433 verletzte Polizeibeamte“) doch noch ein Versammlungsverbot erreichen, weil das Bundesverfassungsgericht den (mittlerweile erwiesenen Lügen-) Berichten der Polizei Glauben schenkte. (Siehe Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.) Die Schnellverfahren sind so gesehen ein wichtiges Mosaiksteinchen in der von Anfang an auf Repression und Totalverbot ausgelegten Polizeistrategie und dienten nicht zuletzt der Delegitimation des G8-Protestes.

Wie der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) berichtete, hatten sich einige der Angeklagten auf die Schnellverfahren nur deshalb eingelassen, weil sie während der Hauptverhandlungshaft in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Waldeck und in der Frauen-JVA Bützow unter entwürdigenden Haftbedingungen festgehalten wurden und ihnen im Anschluß an die Schnellverfahren eine Haftentlassung zugesichert worden war. In der JVA Waldeck z.B. wurden den Angeklagten teilweise richterlich genehmigte Telefonate nicht erlaubt und ihre tägliche Stunde Hofgang mit der Begründung verweigert, es könne nicht für ihre Sicherheit garantiert werden, da in der JVA so viele Neonazis inhaftiert seien. Darüber hinaus sollen einige Angeklagte von den Schließern auch beschimpft und körperlich bedroht worden sein.

Mit welch juristischer Oberflächlichkeit und Voreingenommenheit die 8 Schnellverfahren abliefen, verdeutlicht sehr eindrücklich das Verfahren gegen einen 20jährigen Philosophiestudenten aus Deutschland. Seine Verurteilung zu 9 Monaten Haft ohne Bewährung basierte lediglich auf einer lückenhaften, schriftlichen Aussage eines Polizeibeamten. Darin wurde behauptet, der Angeklagte habe am 2. Juni vier oder fünf Flaschen oder Steine in eine unbekannte Richtung geworfen. Weder wurden die vermeintlichen Wurfgegenstände näher definiert (Flaschen oder Steine? Glasflaschen oder Plastikflaschen? Pflastersteine oder Kieselsteine?), noch wurde festgestellt, in welche Richtung die Objekte denn geworfen worden sein sollen, ob auf Menschen, Gegenstände oder in das Rostocker Hafenbecken gezielt wurde. Auch Angaben, ob jemand zu schaden gekommen sei (z.B. verletzte PolizistInnen), konnten während der Verhandlung von der Staatsanwaltschaft nicht gemacht werden. Trotz dieser mehr als dürftigen Ermittlungsarbeit wurde der nicht vorbestrafte 20jährige, der stets die Tat bestritten hat, zu den besagten neun Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt. Die „junge Welt“ vom 6. Juni schrieb dazu: „Auch in anderen Verfahren mangelte es an präzisen Tatvorwürfen und Zuschreibungen; immer wieder blieb in den polizeilichen Aussagen unklar, wo, wann und aus welcher Entfernung und in welche Richtung geworfen worden sein soll. Ein Großteil der Angeklagten bestritt die Tatvorwürfe.“ Weiter heißt es in dem „junge Welt“-Artikel: „Die Atmosphäre der Verfahren war geprägt von beleidigenden Äußerungen des Staatsanwalts gegen Angeklagte und Verteidiger. So bezeichnete der Staatsanwalt die Angeklagten als „Chaoten“ und Mitglieder des „schwarzen Blocks“, obwohl keinem der Angeklagten vorgeworfen worden war, vermummt gewesen oder aus dem Schwarzen Block heraus agiert zu haben. Einen Angeklagten beleidigte der Staatsanwalt als „Durchgeknallten“. Zwei Rechtsanwälten unterstellte er, er bezweifle, daß sie Jura studiert hätten.“
Der zuständige Einzelrichter hatte „junge Welt“ zufolge von vornherein klar gemacht, daß es unvorstellbar sei, daß PolizistInnen in ihren Aussagen lügen würden. „Zur Verteidigung der Rechtsordnung“ müsse er als Richter jetzt Haftstrafen ohne Bewährung verhängen.

2. Schnellverfahren als „abschreckende Maßnahme“

1994 wurde das sog. Schnellverfahren („beschleunigtes Verfahren“ §§417ff. StPO) im Zusammenhang mit dem „Verbrechensbekämpfungsgesetz“ eingeführt. Die Staatsanwaltschaften und Amtsgerichte sollen mit diesem juristischen Werkzeug bei sog. „einfachen Tatvorwürfen“ eine „auf dem Fuße folgende Strafe“ verhängen können. Zu den „einfachen Tatvorwürfen“ zählen dabei u.a. der Verstoß gegen das Versammlungsgesetz, Widerstand gegen die Staatsgewalt, Körperverletzung, Landfriedensbruch oder auch Sachbeschädigung. Erklärtes Ziel von Schnellverfahren ist laut Gesetzesbegründung die „erhebliche erzieherische und abschreckende Wirkung“ der prompten Strafe.

Das Schnellverfahren unterscheidet sich durch einige Punkte sehr vom üblichen Strafverfahren:
* Das beschleunigte Verfahren ist nur zulässig, wenn seit der Tat erst kurze Zeit vergangen ist und wenn „die Sache zur sofortigen Verhandlung geeignet ist“. Es muß also neben der zeitlichen Nähe ein „einfacher Sachverhalt“ vorliegen.
* Beschleunigte Verfahren dürfen nur dann vorgenommen werden, wenn eine Strafe von maximal einem Jahr Haft zu erwarten ist. Bei Jugendlichen (bis 21 Jahre) ist ein beschleunigtes Verfahren unzulässig.
* Statt einer sonst üblichen schriftlichen Anklage kann die Staatsanwaltschaft die Anklage mündlich während der Hauptverhandlung zu Protokoll geben. So ist eine vorherige Akteneinsicht durch die Verteidigung und entsprechende Würdigung der Beweismittel im Vorfeld der Verhandlung völlig ausgehebelt.
* Die Beweisaufnahme ist für die Verteidigung ganz wesentlich beschnitten. So kann das Gericht Beweisanträge ohne die sonst übliche gesetzliche Bindung an Ablehnungsgründe jederzeit ablehnen. Andererseits kann die Staatsanwaltschaft z.B. schriftliche Aussagen von PolizeizeugInnen einführen, ohne daß diese zur Verhandlung geladen werden müssen. Eine Befragung dieser „ZeugInnen“ durch die Verteidigung ist somit überhaupt nicht mehr möglich.
* Wenn eine Freiheitsstrafe von mindestens 6 Monaten zu erwarten ist, muß das Gericht der/dem Beschuldigten beim Fehlen einer rechtsanwaltlichen Vertretung eigentlich eineN PflichtverteidigerIn bestellen. Daß diese Regelung aber von den Gerichten nicht immer berücksichtigt wird, zeigen verschiedene Fälle aus der Vergangenheit, wo in Abwesenheit von RechtsanwältInnen Leute zu Haftstrafen von 6 Monaten oder mehr verurteilt wurden. (So u.a. ein AntiAtom-Aktivist 1998 in Heilbronn zu 6 Monaten auf Bewährung zzgl. 900 DM Geldstrafe.)

Die Kritik an den Schnellverfahren läßt sich in vier Punkten zusammenfassen:
* Ein „kurzer Prozeß“ führt gerade bei einer aufgeladenen Situation (wie sie nach dem 2. Juni von der Propaganda-Abteilung der Kavala per Pressemitteilungen zusammengelogenen Inhalts angefacht wurde) schnell zu einer „Kopf-ab“-Atmosphäre, wo ein fairer Prozeß vor Ort nicht mehr gewährleistet ist.
* EinE in derartiger Eile abzuurteilendeR AngeklagteR kann sich in keinster Weise hinreichend auf einen solchen Prozeß vorbereiten. Gerade in der plötzlichen Situation (ohne Urteil!) mehrere Tage in der Haft verbringen zu müssen, meist verbunden mit der Verweigerung anwaltlichen Kontakts, behindert bzw. verunmöglicht eine juristische Verteidigung. Erschwerend für die Verteidigung kommt hinzu, daß der Tatvorwurf vor dem Prozeß nicht klar benannt ist und durch fehlende Möglichkeit der Akteneinsicht auch eine Beweismittelsichtung durch die Verteidigung nicht erfolgen kann.
* Da juristisches und politisches Ziel eines solchen Schnellverfahrens erklärtermaßen darin besteht, ein schnelles, möglichst abschreckendes Exempel zu statuieren, kann von einem vorher feststehenden Verurteilungswillen bei Staatsanwaltschaft und Gericht ausgegangen werden. Solche Verfahren finden daher unter rechtlich mehr als zweifelhaften Bedingungen statt. So ist die Beweislage oftmals sehr vage, lückenhaft und stützt sich meist auf nur verlesene Polizeiaussagen. Eigene ZeugInnen oder Gutachten der Verteidigung, die entlastenden Inhalts sind, können nicht beigebracht werden. Selbst beim unwahrscheinlichen Fall, daß solche Beweismittel in der Kürze der Zeit eingebracht werden könnten, darf das Gericht die Einführung dieser jederzeit formlos ablehnen. Auch rechtsanwaltlicher Beistand wird meist mit Verweis auf „den einfachen Sachverhalt“ oder die „Notwendigkeit der sofortigen Verhandlung“ verwehrt bzw. erschwert. Die Angeklagten werden, insbesondere wenn sie auf die Schnelle keinen rechtsanwaltlichen Beistand organisieren können, über ihre Rechte und den Verlauf der Verhandlung weitestgehend im Unklaren gelassen. Ziel ist eine weitgehende Entrechtlichung der/des Beschuldigten. Außerdem wird wahrscheinlich auch von den Staatsanwaltschaften darauf spekuliert, daß die Beschuldigten in ihrer durch Hilflosigkeit geprägten Situation Einlassungen machen, die bei einem Berufungs- oder Revisionsverfahren belastend gegen die Beschuldigten angeführt werden können.
* Letztlich sind diese Schnellverfahren, und das muß in aller Deutlichkeit auch so benannt werden, ein erster Schritt zu einer Sondergerichtsbarkeit, die bürgerliche Mindeststandards über Bord wirft. RichterInnen, die sich auf solche Verfahren einlassen, stellen sich damit eindeutig in einen antidemokratischen Diskurs und unterhöhlen damit die Grundlagen des bürgerlichen Rechtstaates. Geistige Kontimuitäten zur Sondergerichtsbarkeit im nationalsozialistischen Staat sind nicht zu übersehen. Auch damals war das Ziel, mittels Sondergerichtsbarkeit und Schnellverfahren „kurzen Prozeß“ mit politischen GegnerInnen zu machen, sie völlig zu entrechtlichen. Natürlich waren die Mittel im NS-Staat dazu viel weitreichender und offensichtlicher, aber gerade aus der Erfahrung mit dem NS-Justizsystem sollte der Einzug antidemokratischer Entwicklungen im bürgerlichen Rechtsstaat schon in seinen Anfängen vehement bekämpft werden. Es handelt sich daher bei den Schnellverfahren (wie auch der Hauptverhandlungshaft) im Grunde um weitere antidemokratische Inseln im bürgerlich-liberalen Rechtssystem.

3. Dank der Hauptverhandlungshaft nun auch Knast für Bagatelldelikte möglich

Da sich schnell heraustellte, daß die wenigsten Menschen einen solchen „kurzen Prozeß“ freiwillig mitmachten und zum Schnellprozeß oft nicht erschienen, wurde diese Vorschrift 1997 durch die sog. Hauptverhandlungshaft (§127b StPO) ergänzt. Danach kann einE FestgenommeneR, die/der für ein Schnellverfahren vorgesehen ist, bis dahin auch ohne Vorlage eines Haftgrunds (das sind: Fluchtgefahr, Verdunkelungsgefahr, Wiederholungsgefahr oder besondere Schwere der Tat) für bis zu einer Woche in Untersuchungshaft gesteckt werden, wenn „zu befürchten ist, daß der Festgenommene der Hauptverhandlung fernbleiben wird“. Diese Regelung ist ausdrücklich auf sog. „reisende Straftäter“ (law-and-order-Neusprech für: anreisende DemonstrationsteilnehmerInnen), aber auch Obdachlose oder AusländerInnen ohne festen Wohnsitz in Deutschland zugeschnitten.
Ein Ziel der Einführung der Hauptverhandlungshaft war es ausdrücklich, für die Gerichte einen Anreiz zu schaffen, das beschleunigte Verfahren häufiger anzuwenden.

Mit dem Mittel der Hauptverhandlungshaft können nun auch für Delikte, für die laut Gesetz lediglich Geldstrafen oder Bewährungsstrafen vorgesehen sind, de facto bis zu einer Woche Untersuchungshaft verhängt werden. Ein Umstand, der das bisherige deutsche Strafprozeßrecht völlig konterkariert. Durch die Hintertür wird so die Möglichkeit eingeführt, Beschuldigte wegen Bagatelldelikten (z.B. Graffiti-Sprayen, Ladendiebstahl, Schwarzfahren) ohne Gerichtsurteil in den Knast zu stecken. Hierbei ist im Hinterkopf zu behalten, daß die Untersuchungshaft eigentlich die zu erwartende Strafe nicht vorwegnehmen darf. Untersuchungshaft, auch wenn sie nur eine Woche dauert, darf laut Bundesverfassungsgerichtsentscheidung ausschließlich der Durchführung eines geordneten Strafverfahrens dienen und soll die spätere Vollstreckung eines auf Freiheitsstrafe lautenden Urteils sicherstellen. Die Untersuchungshaft darf laut Bundesverfassungsgericht nicht dazu mißbraucht werden, das Aussageverhalten der/des Beschuldigten zu beeinflussen.

4. Konkretes Verhalten bei angedrohtem Schnellverfahren: Was tun?

Schön und gut, aber was tun, wenn mensch direkt mit einem Schnellverfahren konfrontiert wird? – Wie bei allen Festnahme- und Ingewahrsamnahmesituationen gilt: Immer wieder auf dem Recht bestehen, einen Ermittlungsausschuß oder eineN RechtswältIn telefonisch zu kontaktieren. Und wenn Du keineN RechtsanwältIn Deines Vertrauens kennst, lieber den (in größeren Städten meist vorhandenen Anwaltlichen Notdienst) verständigen als ganz ohne anwaltlichen Beistand dazustehen. Schon der Kampf um das Dir zustehende Telefonat ist in der Situation auf der Polizeiwache bzw. Gefangenensammelstelle meist sehr, sehr mühselig – aber nicht aufgeben und immer wieder die PolizistInnen vor Ort damit nerven!
Sobald Dir bekannt wird, daß gegen Dich ein Schnellverfahren eröffnet werden soll (ein Hinweis darauf wäre, daß Du in Hauptverhandlungshaft kommst), solltest Du Dich mental auf diesen Schauprozeß einstellen. Gegen die Eröffnung eines Schnellverfahrens können Beschuldigte grundsätzlich nichts unternehmen. Halbwegs fitte RechtsanwältInnen dürften es in den meisten Fällen allerdings hinbekommen, aufzuzeigen, daß „Dein Fall“ eben kein „einfacher Sachverhalt“ ist, der mittels Schnellverfahren zügig abgehandelt werden kann.

Die Rote Hilfe rät nicht ohne Grund zur umfassenden und konsequenten Aussageverweigerung vor Polizei und Staatsanwaltschaft, egal ob als ZeugIn oder BeschuldigteR. Die einzigen Angaben, die Du den Ermittlungsbehörden gegenüber machen mußt, sind die Pflichtangaben zur Person (Name, Vorname, Meldeadresse, Geburtsdatum und -ort, allgemeine Berufsbezeichnung). Ansonsten kein Wort mehr – weder „zur Sache“ noch zu anderen Themen!
Lediglich zwei Dinge solltest Du immer wieder (wie ein buddhistisches Mantra) von Dir geben: „Ich verweigere die Aussage und will meinen Anwalt sprechen!“

Du solltest bei Schnellverfahren grundsätzlich nicht mitwirken, auch nicht durch Verfahrensanträge oder ähnliches! Die Gefahr ist zu groß, daß Du Dich in dem recht undurchsichtigen juristischer Gewirr einer mündlichen Verhandlung verlierst und das Gericht plötzlich eine „Einlassung“ von Dir protokolliert, die Du eigentlich gar nicht machen wolltest. Wer gar nichts sagt, gerät auch nicht in Gefahr, zu irgendetwas ihr/sein „Einverständnis“ zu geben. Als Rote Hilfe raten wir grundsätzlich davon ab, durch eigene Prozeßanträge oder ähnliches in das Schnellverfahren eingreifen zu wollen! Auch das Anführen von vermeintlichen EntlastungszeugInnen gilt es tunlichst zu unterlassen, denn damit hilfst Du Dir kein Stück! Die ZeugInnen werden Dir in diesem Schnellverfahren auch durch entlastende Aussagen nicht helfen können, wenn sie denn überhaupt vorgeladen werden. Außerdem reitest Du sogar noch andere mit rein! So kam es in der Vergangenheit schon öfters vor, daß „EntlastungszeugInnen“ plötzlich selber von der Staatsanwaltschaft ein Verfahren wegen derselben Straftat erhalten und zusätzlich noch wegen Meineids in Deinem Verfahren angeklagt werden.
Du solltest Dir völlig darüber im Klaren sein: Ein Gericht, das mit dem Prozeß nicht einmal auf die Anwesenheit Deines rechtsanwaltlichen Beistands warten will, wird sich auch von Deinen Prozeßanträgen wenig beeindrucken lassen. Letztlich kann das Gericht im beschleunigten Verfahren Deine Anträge auch ohne jegliche weitere Begründung einfach ablehnen.

Die beste und sicherste Methode ist, diesen Schnellprozeß einfach über sich ergehen zu lassen. Die Rote Hilfe Hamburg hat schon 1998 sehr weise Worte dafür gefunden, wie sich Angeklagte bei Schnellverfahren verhalten sollten: „Unsere ganze Stärke zeigen wir hier [im Schnellverfahren], indem wir uns in ein Schneckenhaus zurückziehen und wie eine kaputte Schallplatte monoton „Ich mache keine Aussage“ leiern – nicht, indem wir Bullen oder Richtern vorzuführen versuchen, was wir für ein toller Kerl sind oder was wir juristisch alles drauf haben.“

Nach dem dann gelaufenen Schnellverfahren solltest Du aber innerhalb von einer Woche Rechtsmittel gegen dieses Urteil einlegen. Dann gibt es einen ganz normalen Revisions- bzw. Berufungsprozeß, auf den Du Dich mit Deiner/Deinem RechtsanwältIn gründlich vorbereiten kannst. Also ein richtiger Prozeß und nicht mehr eine derartige Show-Veranstaltung von Gericht und Staatsanwaltschaft wie beim beschleunigten Verfahren.

Das Wichtigste ist und bleibt weiterhin, daß es den Repressionsorganen auch mit Hilfe des Schnellverfahrens und der Hauptverhandlungshaft nicht gelingen darf, von uns Aussagen zu erpressen!

… Schweigen ist Gold und Solidarität ist eine Waffe!

Jan Steyer
(Rote Hilfe Greifswald)